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.. und dann ging alles ganz schnell ...

Rückfahrt aus Marokko

.. und dann ging alles ganz schnell ... Es ist Freitag, der 15. Mai 2020, als am späten Nachmittag von der Deutschen Botschaft in Rhabat eine eMail eintrifft, daß die holländische und die englische Regierung jeweils eine Fähre in der kommenden Woche organisiert haben und Deutschland sich angeschlossen hätte. Stunden später, Abends um 2140 Uhr kommt dann die zweite Mail in der mir bestätigt wird, daß ich auf der Liste der GNV Fähre am 19.05. von Tanger Med nach Genua eingetragen bin. Noch wichtiger aber ist eine Anlage, in der die marokkanischen Behörden um Ausstellung einer speziellen "Laissez-Passer", einer Genehmigung zur Durchfahrt an die Küste, gebeten werden. Die seit Tagen und Wochen bestehende Achterbahn an Gefühlen zwischen Hoffnung und Enttäuschung hat von einem Moment auf den nächsten ihre Fahrt verdoppelt, verdreifacht, ver-weiß-was ... Noch am Abend sende ich die Laissez-Passer an ein (geschlossenes) Hotel in der Nähe des Campingplatzes ... und dann ist an Schlaf nicht mehr zu denken! Es ist noch so unendlich viel zu erledigen ... und dann diese schreckliche Ungewißheit: Wird es diesmal klappen oder kommt nur die nächste Enttäuschung?

Samstag, 16. Mai 2020

Laissez-Passer

Am frühen Samstag Morgen sitze ich bereits auf meinem Mountainbike und radel weiter auf die Todra-Schlucht zu, bis zum Hotel. Natürlich ist alles weiterhin vergittert und verriegelt, dennoch klopfe ich mit dem gußeisernen Ring immer wieder an die massive Tür ... bis, ja bis das verschlafene Gesicht von Hakim am Fenster erscheint. Ja, es ist Ramadan und das Leben der Marokkaner blüht zu dieser Zeit erst nach Sonnenaufgang auf und reicht bis tief in die Nacht. Die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Marokkaner zeigt sich aber auch hier: Hakim hatte meine Mail noch gestern Abend gelesen und die Laissez-Passer für mich ausgedruckt!

Reisegenehmigung für den Wanderer und mich

Jetzt die nächste Hürde: Mit dem Motorrad geht`s nach Tinghir, der zuständigen Kreishauptstadt und dann beginnt ein Marathon, der über viele, viele Stunden läuft: Vorsprechen im Bürgermeisteramt ... warten ... Fahrt zur Kreisverwaltung ... warten ... wieder zum Bürgermeisteramt ... warten (die Sonne brennt inzwischen unerbittlich und in meiner Motorradbekleidung bin ich eher suboptimal angezogen) ... und dann endlich Bearbeitung des Antrages. Überraschend schnell, innerhalb von nur 10 Minuten, entsteht die begehrte Reisegenehmigung! Aber Stopp! Das ist nur ein Blatt Papier! Jetzt fehlt noch die wichtige Unterschrift des Paschas von Tinghir, dem Bürgermeister ... und die muß dann noch abgestempelt werden ... wieder warten, in der glühenden Sonne, wieder eine ganze Stunde und dann geht es auf einmal wieder sehr schnell: Der Pascha hat unterschrieben, der Stempel ist drauf ... und die Genehmigung hat ein Bote und der ist damit unterwegs zur Bezirksregierung ... auch dort müssen noch Unterschrift und Stempel drauf! Also wieder zur Regierung fahren ... und wieder warten - die Sonne brennt immer noch ...

Es ist schon später Nachmittag und ich mag`s kaum glauben, aber in meinen Händen halte ich die so wichtige Reisegenehmigung von Tinghir zur Küste, nach Tanger Med. Zurück auf Atlas wird sie sofort an die Frontscheibe des Fahrerhauses geklemmt und dann mache ich mich reisefertig. Essen muß vorbereitet werden, alle weiteren wichtigen Dokumente, Pässe, Bescheinigungen, Geld und viele andere Dinge müssen heraus- und bereit gelegt werden. Bezahlen des Campingplatzes, verstauen und verzurren aller Teile im Wanderer, duschen, etwas essen - Ruhe ... aber wieder kaum Schlaf!

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Sonntag, 17. Mai 2020

Völlig übermüdet und gerädert reißt mich mein Handy-Wecker aus dem Halbschlaf. Kaffee kochen, die allerletzten Teile wegräumen, alle Schränke verschließen, Einstiegsleiter abbauen und verstauen, alle Klappen abschließen und dann ist es soweit: Der Steyr wird gestartet und nach einer halben Sekunde läuft der Motor. Sogar Miezekatze hört mich und wir können uns verabschieden - wie mag es ihr gehen, wenn ich in einigen Minuten, vielleicht für immer, einfach weg sein werde ...?
Während langsam Luftdruck im System aufgebaut wird, kontrolliere ich noch einmal die Einstellungen des Navis, dann folgt die Abfahrkontrolle mit einem letzten Rundgang um den Wanderer.
Weit vor 0700, rolle ich von dem Platz, der jetzt volle zwei Monate mein Zuhause war. Es ist ein sehr seltsames Gefühl. Freude mischt sich mit Traurigkeit und Bedauern - dann sind da noch Hoffnung genauso wie Zweifel, ob es wirklich klappen wird ... und dann die Fahrt ... fast 900 km liegen vor mir! Eine Strecke, für die ich normalerweise drei Tage kalkulieren würde - jetzt muß ich es in zweien schaffen!

Zum allerersten Mal fahre ich mit dem Wanderer durch die enge und holprige Todra Schlucht mit ihren senkrecht aufragenden Wänden. Kein Mensch ist zu sehen, kein anderes Fahrzeug und so geht es weiter, immer höher hinauf in die Berge des Hohen Atlas. Nach 50 km dann die erste Polizeisperre, wie alle Begegnungen in den letzten Monaten mit Polizei oder Militär auch diesmal höflich, fast freundschaftlich, dennoch gründlich: Meine Reisegenehmigung wird fotografiert und mit einem Telefonat überprüft. Nach 10 Minuten dann die Erleichterung: Au revoir et bon route - Tschüss und Gute Fahrt!
Trotz der teilweise extremen Serpentinenstrecken im Hohen Atlas komme ich gut voran. Nadelöhre sind nur die Durchfahrten durch kleine und kleinste Ortschaften im Gebirge, deren Durchfahrten vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten konzipiert wurden, als es noch keine 10 t schwere Trucks gab, die sich durch die engen Gassen schlängeln mußten. Warm ums Herz und unvergessen aber sind die Begegnungen mit den Menschen während der Fahrt. Ich weiß beim besten Willen nicht, wie oft ich an diesem Tag das offene Lachen erwiedern und die Hand zum Gruß heben mußte ...
Stunde um Stunde geht die Fahrt weiter durch traumhafte Berglandschaften und sogar vorbei an etlichen Gipfeln, die auch jetzt mit weißem Schnee bedeckt sind. Nach mehr als 200 km geht es nur noch bergab und die Straße wird immer breiter als ich den Hohen Atlas hinter mir lasse und auf Beni Mellal zufahre.

Übernachtungsplatz Autobahnraststätte

mein Übernachtungsplatz auf einer Autobahnraststätte
das einzige Fahrzeug - der Wanderer
der einzige Mensch - ich

Nach mehr als 8-stündiger Marathonfahrt und 250 Kilometern erreiche ich dann die Autobahn. Ein graues, in der Sonne flirrendes Aspaltband, das mir vollkommen allein gehört. Jetzt gibt es keine Menschen mehr entlang der Straße, keine Ortsdurchfahrten, keine anderen Autos. Es ist so unwirklich, daß ich wieder völlig verunsichert bin. Es ist fast unheimlich! Nach nur wenigen weiteren Kilometern erreiche ich die erste Autobahnraststätte: Ebenso menschenleer, alles verschlossen und die einzigen Geräusche sind der Wind und ein unglaubliches Vogelkonzert. 294 Kilometer und 9 Stunden Fahrt liegen hinter mir - ein Abend, völlig allein auf einem einsamen Rastplatz erwarten mich.

leere Autobahn in Marokko

die Autobahn hinter mir: leer

leere Autobahn in Marokko

meine Übernachtungs-Raststätte: leer

leere Autobahn in Marokko

die Autobahn vor mir: leer

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Montag, 18. Mai 2020

0710 Uhr, Start vom Rastplatz während sich die Vögel zum Abschied noch einmal mit ihrem Gezwitscher alle Mühe geben. Rund 550 Kilometer erwarten mich heute. Da ab hier nur noch Autobahn vor mir liegt, werde ich die Strecke dank der gestrigen Marathonfahrt gut schaffen können. Wieder erwartet mich eine völlig leere Bahn und wieder muß ich an den über 30 Jahre alten neuseeländischen Science-Fiction Film Quiet Earth denken, in dem der Hauptdarsteller nach einem fehlgeschlagenen Experiment in einer entvölkerten Welt erwacht, in der er anscheinend der einzige verbliebene Mensch ist. Die Schilder "Gardez vos Distances", achten Sie auf Ihren Abstand, muten fast zynisch an! Andere Autos gibt es nicht - ich bin das einzige Fahrzeug auf der völlig leeren Autobahn!

Das ändert sich allerdings immer mehr, je näher ich Casablanca komme. Jetzt nimmt der Verkehr tatsächlich immer mehr zu und bereits aus einer Distanz von 50 km kann ich die dunkle, graue Dunstschicht am Horizont sehen! Der Himmel, den ich jetzt fast 4 Monate in einer für europäische Verhältnisse nicht vorstellbaren Klarheit und tiefblauen Farbe gesehen habe, wird jetzt immer milchiger - blau zwar weiterhin, aber längst nicht mehr rein.
Jetzt kommt sogar, in Verbindung mit einer Mautstelle, die erste von noch etlichen weiteren Polizeisperren und Kontrollen auf der Autobahn. Meine hinter der Windschutzscheibe deutlich sichtbare Reisegenehmigung mit den beeindruckenden roten Stempeln wirkt aber meist Wunder. Nur selten werde ich angehalten und kontrolliert.

Immer wieder wandert mein Blick auf mein Handy auf dem ich sehnlichst auf einen Anruf warte. Nach Rücksprache mit der Botschaft stehe ich definitiv auf der Fährliste, nur heißt es, daß die GNV, die italienische Fährgesellschaft, mich über Handy anrufen wird um das Ticket zu bestätigen. Die Stunden vergehen ohne das das Handy klingelt und die Unsicherheit kriecht ganz langsam aber beständig immer weiter ins Bewußtsein! Ich bin unterwegs nach Tanger Med - aber ohne bestätigtes Ticket ... nur, ein Zurück auf meinen sicheren Platz an der Todra Schlucht gibt es jetzt nicht mehr ...

Nach Moullay Bousselham, mitten in einem der größten Obst- und Gemüseanbaugebiete Marokkos, wieder eine Besonderheit, die zu Hause in Deutschland jedem Beamten Schnappatmung bescheren würde: Verkäufer stehen mit ausgebreiteten Säcken und Körben mit Kartoffeln, Möhren oder Erdbeeren direkt auf dem Randstreifen der Autobahn und preisen ihre Waren an...

Nach fast 550 Kilometern stehe ich zusammen mit einem weiteren deutschen Dickschiff, sogar einem Steyr, vor dem geschlossenen und von Polizei bewachten Hafentor von Tanger Med: Nein, eine Fähre wird morgen nicht fahren ... das die Übersetzung aus einem Gemisch aus englisch und französisch ... und wieder fahren müßten wir! Hier können wir nicht stehen bleiben ... Unsicherheit und Ratlosigkeit sind jetzt wieder formatfüllende Empfindungen im Kopf ...

Kilometerstand auf dem Tacho des Steyr: 119.999, 1800 Uhr, ich stehe auf einem Parkplatz in Ksar Sgir, einem kleinen Nest direkt an der Küste mit Aussicht auf die riesigen Entladekräne von Tanger Med, genau da, wo ich vor 4 Monaten angefangen und meine erste Nacht verbracht habe ...

Übernachtung in Ksar Sgir

genau da, wo ich vor 4 Monaten angefangen und meine erste Nacht verbracht habe ...
endet das Abenteuer Marokko auch hier?

Am Abend dann konnte ich noch einmal die deutsche Botschaft erreichen: Ja, Sie stehen definitiv auf der Lise ... Ich gebe Ihnen aber auch noch eine Nummer der GNV-Vertretung in Tanger Med, da man Sie ja immer noch nicht angerufen hat ... Sprechen Sie mit Madame Halimar Mansour, die hatte mir schon bestätigt, daß Sie auch auf der GNV-Liste stehen ... also noch ein Telefonat, diesmal mit Madame Halimar Mansour in kaum verständlichem englisch: ja, Sie stehen auf der Liste ... aber Sie kommen trotzdem nicht mit! Die Fähre ist voll! Sie können nur morgen rechtzeitig dort sein, vielleicht können Sie ja noch ein Ticket ...

Wahrscheinlich wieder eine geplatzte Hoffnung! Es wird keine angenehme Nacht ...

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Dienstag, 19. Mai 2020

Nach einer weiteren Nacht mit sehr wenigem und unruhigem Schlaf starte ich bereits um kurz nach 0500 Uhr den Wanderer - Start von Ksar Sgir nach Tanger Med ... und kann mich nur einreihen in eine hunderte von Metern lange Schlange aus Wohnmobilen die auf dem Autobahnzubringer, weit vor der Einfahrt zum Hafen stehen. Wieder vergehen viele Stunden mit Warten während der Bauch herzlich wenig Lust hat die Gelegenheit zu nutzen, etwas nahrhaftes aufzunehmen. Immer wieder gehe ich 20 oder 30 Meter nach vorn oder hinten um mit anderen Wartenden, die ich kenne, über die Lage zu sprechen.

Die Sonne kriecht immer höher, es wird immer heißer und die Nerven liegen mittlerweile völlig blank. Telefonisch ist nichts und niemand zu erreichen - weder die Botschaft, noch die GNV.
Als ich von einem der kurzen Gespräche wieder zum Wanderer komme, passiert es gerade: Obwohl jeder in der Schlange auch immer wieder zu seinen Nachbarn nach vorn und hinten schaut, passiert es gerade bei mir! Die Büsche neben der mittlerweile weit über 1 km langen Schlange sind voll mit Marokkanern (nicht schwarz-afrikanischen Emigranten!), die nur ein einziges Ziel kennen, Europa und bereit sind, dafür alles zu tun. Ich kann den Wanderer gerade wieder von hinten sehen, als ich auch einen Marokkaner sehe, der über meinen Heckträger auf das Motorrad geklettert ist, von dort eines der Heckfenster aufgebrochen hat und gerade dabei ist, mit seinem Oberkörper im Aufbau zu verschwinden. Ohne den Bruchteil einer Sekunde nachzudenken brülle ich in einer Lautstärke, die einer startenden F16 alle Ehre machen würde, springe auf meinen Heckträger und reiße den uneingeladenen Besucher herunter. Es folgt noch eine intensive Diskussion, die aber nichts, absolut nichts bringt ... Fünf Minuten später würde "er" oder irgend jemand anderes es wieder versuchen ...

Die Sonne kriecht noch höher als endlich eine Gruppe von Marokkanern mit Handys & Papierkram an der endlosen Kolonne vorbei wandert. Nach und nach erhält ein Fahrzeug nach dem anderen ein großes, dunkelrotes Stück Papier mit der Aufschrift "GENUA" für die Windschutzscheibe ... Ich nicht! In "diesem" Handy bin ich nicht verzeichnet ... Alle Fassungslosigkeit, Verzweiflung, Argumentation, Versuche Mme. Halimar Mansour oder die Botschaft zu erreichen, laufen ins Leere. Die Kolonne mit den roten Zetteln zieht an mir vorbei ... Auch das allerletzte "Ja, aber ..." im eigenen Kopf verhallt wirkungslos.

Eine weitere kleine Ewigkeit später setzt sich die Karawane aus Wohnmobilen und einigen wenigen Offroad-Trucks in Bewegung - mit mir - bis zum Kreisverkehr am Eingang zum Hafen. Die "roten Zettel" werden in den Hafen gelassen, die ohne ihn werden wieder in die Gegenrichtung geleitet ... und sammeln sich dort. Vielleicht noch 10 oder 15 weitere, deutsche Fahrzeuge. Es folgen weitere Stunden mit dem Versuch von Telefonaten, mit Diskussionen am GNV-Schalter während ich/wir gleichzeitig mitbekommen, daß eine nicht unbedeutende Zahl von Fahrzeugen mit italienischen Nummernschildern in den Hafen einfahren ... obwohl die Plätze geblockt wurden ...
Dann kommt tatsächlich ein Vertreter der Deutschen Botschaft, der Kulturataché, Jörg Grothjohann. Für alle Eingeschlossenen in den letzten Wochen das einzige Gesicht, der einzige Name, die einzige Telefonnummer, die einzige eMail Adresse, die bekannt ist, sichtbar Anteil nimmt, sich authentisch Mühe gibt Lösungen zu erarbeiten (siehe auch Fazit der Arbeit der Deutschen Botschaft in Marokko). Mit diplomatischen Worten nimmt auch Grothjohann die italienischen Kennzeichen wahr, ist aber genauso machtlos wie wir. Dafür aber ein persönliches Versprechen: am Donnerstag dieser Woche wird die englisch organisierte Fähre bei der Balearia nach Spanien fahren - und Grothjohann verspricht uns, daß wir dabei sein werden ... und er wird sein Wort halten!

Es ist schon Nachmittag, als ich in einem kleinen Konvoi aus 4 Fahrzeugen von Tanger Med nach Asilah aufbreche. Wieder 80 km zurück, an die Atlantikküste, zusammen mit Kimmy & Lee aus Cornwall in England und Percy & Vivian aus Schleswig-Holstein in Deutschland. Diesen Vieren gilt auch mein ausdrücklicher Dank für ihre Präsenz und Unterstützung in den letzten Stunden. Das alles war und ist in einer Gruppe deutlich leichter zu managen und zu ertragen als als Einzelkämpfer ...

Kimmy & Lee, Percy & Vivian,

Kimmy & Lee aus Cornwall in England und Percy & Vivian (vorn) aus Schleswig-Holstein

Stellplatz in Asilah

unser Stellplatz in Asilah, direkt am Meer

Sonnenuntergang am Atlantik

der abendliche Sonnenuntergang am Atlantik entschädigt für den Stress der gesamten letzten Tage

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Donnerstag, 21. Mai 2020

Der gestrige Tag, mit einer Pause von der Achterbahnfahrt, hat Wunder gewirkt. Lange Spaziergänge am Strand des Atlantik und schwimmen in den erfrischenden Wellen hat auch den allerletzten Staub aus Wüste, vielen hunderten von Kilometern Fahrerei und die Spuren der Ereignisse aus der Dunkelkammer des Hirns herausgespült.

WoMo`s im Hafen von Tanger Med

Um 0700 Uhr setzt sich dann wieder ein ganzer Konvoi aus etlichen Fahrzeugen in Bewegung - wieder 80 km nach Tanger Med und diesmal ist es so einfach, daß ich es kaum glauben kann! Ohne Schlange auf dem Autobahnzubringer können wir direkt in den Hafen einfahren. WoMo`s im Hafen von Tanger Med Es folgen zwar wieder etliche Stunden Anstehen für die Bestätigung und die Ausstellung des Tickets, aber trotz der erschreckend langen Schlange vor den Schaltern und der riesigen Menge an wartenden Fahrzeuge wird auch diese Hürde diesmal genommen. Dann geht`s tatsächlich von der Parkposition mit Stopp & Go weiter, zuerst durch die marokkanischen Paß- und Fahrzeugkontrollen, dann in die Schlange für den riesigen Scanner: Ein Röntgengerät fährt auf einer speziellen Spur jeweils an einer Gruppe von Fahrzeugen vorbei. Es heißt, daß hier auch die allerletzten Besucher, die sich in oder sogar unter Fahrzeugen versteckt haben, entdeckt werden ... und dann ist der Wanderer auch durch diese Kontrolle und ich rolle tatsächlich auf die Fähre zu. Nach einer letzten Überprüfung der Papiere und einer Corona-Fiebermessung stehe ich dann im riesigen Bauch der Fähre. Es ist nach all den Wochen so unwirklich, daß der Verstand es kaum glauben mag! Als die Fähre dann am Nachmittag mit erheblicher Verspätung tatsächlich ablegt und Kurs auf Malaga in Spanien nimmt, fällt wirklich ein zentnerschweres Gewicht herunter und verschwindet lautlos im tiefblauen Hafenwasser.

Abfertigung im Hafen

Abfertigung im Hafen

Schlange vor dem Scanner

Schlange vor dem Scanner

die Fähre legt ab

-unglaublich- die Fähre legt ab ...
bis zur allerletzten Sekunde spukt immer noch dieser blöde Gedanke im Kopf herum "Was ist, wenn jetzt doch noch ..."

WoMo`s im Hafen von Tanger Med Es ist schon 1930 Uhr als wir in Malaga anlegen. Dann folgt wieder stundenlanges Warten und Stopp & Go in der schier endlosen Schlange vor den spanischen Kontrollen. Genau um Mitternacht rolle ich mit der Durchreisegenehmigung durch Spanien im Gepäck aus dem Hafen. WoMo`s im Hafen von Tanger MedDie letzten 10 Kilometer durch das nächtlich Malaga sind noch unwirklicher und als ich endlich auf dem Stellplatz etwas außerhalb der Stadt in unserer Gruppe stehe, fällt auch der letzte Stress endlich ab. Spanien! Europa! Geschafft!

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Freitag, 22. Mai 2020

Stellplatz bei MalagaAbschied von den Freunden der letzten Tage - zu unterschiedlich sind jetzt die Reiseziele und Tagesetappen. Für mich stehen heute mehr als 600 Kilometer auf dem Plan. Für einen PKW kein Problem, für einen 10 t schweren LKW aber eine Monsterfahrt von mehr als 10 Stunden ...
Es beginnt mit der Fahrt entlang der spektakulären Steilküste auf meiner rechten Seite und den schneebedeckten Gipfeln der Sierra Nevada auf meiner linken Seite. Je näher ich jedoch der Stadt Almeria komme, desto "unerträglicher" wird die Landschaft um mich herum! Sie wird immer mehr zu einer perversen und an Häßlichkeit kaum noch zu überbietenden Kopie eines Christo-Kunstwerkes. Immer größere Teile verschwinden unter häßlichen weißen bis schmutzig-braunen, riesigen Planen unter denen Obst und Gemüse für die europäischen Verbraucher "erzeugt" werden. Ein gleichermaßen bedrückendes und abstoßendes Bild über unendlich viele Kilometer welches nur noch getoppt wird von dem Moloch aus Häusern und Industrie rund um Almeria.

Stellplatz bei ValenciaGanz anders als in Marokko werde ich in Spanien bereits langsam an europäische Zustände angepaßt und gewöhnt. War die Autobahn bis Almeria noch relativ leer, wird sie, je näher ich Valencia komme, zu dem bekannten Gedränge auf europäischen Straßen. Dann aber ist es geschafft: Nach 648 gefahrenen Kilometern erreiche ich ein ganzes Stück nach dieser Großstadt einen Autobahnparkplatz, der mich ein bischen an marokkanische Verhältnisse erinnert. Auch hier sind alle Einrichtungen, bis auf die Zapfsäulen geschlossen, aber mehr als 200 Meter von der Autovia und durch viele Bäume getrennt finde ich eine einsame Parkbucht zwischen blühenden Bäumen, die einem Stellplatz für Wohnmobile in nichts nachsteht. Die zweite Nacht auf europäischem Boden ist gesichert!

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Samstag, 23. Mai 2020

Nach einer erholsamen Nacht steht heute die nächste Riesenetappe an: Ich will Spanien hinter mir lassen und einen Stellplatz bei Perpignon, in Frankreich erreichen, den mir ein Freund für diese Heimfahrt empfohlen hat.

Wieder folgen endlose Kilometer durch unterschiedlichste Landschaften. Die vielen Stunden hinter dem Lenkrad verstreichen in quälender Langsamkeit aber gleichzeitig ertrage ich sie in einer Art meditativem Flow.

54 km vor der französischen Grenze nähere ich mich langsam der Barriere der Pyrenäen. Riesige Wolkenbänke stauen sich an den Gipfeln und wälzen sich wie gigantische Wellen über die Grate. Der Himmel wird immer mehr zu einem dunkel Grau und jetzt kommt auch der Mistral dazu! Heftigste Winde krachen gegen den Wanderer und versuchen ihn ununterbrochen aus der Spur zu drängen. Nachdem die Spanier einige Kilometer vor der Grenze ein letztes Mal in die Mautkasse gegriffen haben, wird die Autobahn zu einer martialischen Holperstrecke. Dann ist es geschafft. Ich rolle über den letzten Paß und schlagartig wird die Fahrbahn unter mir zu einer Wohltat! Ich schwebe förmlich über den Boden - Frankreich ... kein einziger Flic, keinerlei Kontrolle - nichts!

Stellplatz Toreilles PlageNach 524 Kilometern ist es geschafft - ich stehe auf einem abgelegenen und ruhigen Parkplatz in Toreilles Plage - fast direkt am Meer. Die Schilder sagen zwar ausdrücklich, daß WoMos hier nicht stehen und erst recht nicht übernachten dürfen, aber die Situation durch die Stellplatz Toreilles Plage Corona Einschränkungen spricht für sich und ein Wagen der Gendarmerie fährt später im Schritttempo an mir vorbei ohne das ich kontrolliert oder verjagt werde.
.. und der Strand von Toreilles -nicht nur wegen des Wetters- einsam und leergefegt ...

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Sonntag, 24. Mai 2020

Stellplatz Toreilles PlageIch werde bei einem traumhaften Sonnenaufgang über dem Mittelmeer geweckt. Nach einem kleinen Frühstück steht die nächste Etappe an - langsam werden sie kürzer - heute sollen es sogar unter 500 Kilometer sein, damit aber immer noch Lichtjahre mehr als eine Erholungsfahrt.
Bei strahlend blauem Himmel peitscht der Mistral aber immer noch extrem stark. Der Wanderer bekommt einen Schlag nach dem anderen und ich muß ständig gegenlenken. Auch etwas anderes wird immer deutlicher: Schon in Marokko habe ich immer wieder etwas wie ein Klappern oder Schlagen aus dem Koffer hinter mir gehört. Bei jeder Pause habe ich mich dann auf die Suche begeben und jede mögliche Klappe, jede Tür, jeden Deckel nach und nach mit Waschlappen oder Handtüchern so verstopft, das die Geräusche eigentlich hätten verschwinden müssen ... eigentlich ... sind sie aber nicht. Sogar im Gegenteil! Immer stärker und deutlicher wird das Schlagen und irgendwann achte ich nur noch auf die Geräusche - und dann wird es irgendwann so laut und deutlich, daß ich den Ort und die wahrscheinliche Ursache lokalisieren kann! Sofort mit der Geschwindigkeit runter und am nächsten Parkplatz raus. Am Fahrerhaus ziehe ich mich nach oben und dort sehe ich das Drama: Die Plane über dem Reserverad auf dem Dachträger ist gerissen und schlägt bei dem starken Wind um sich!
Nach 20 Minuten sind die Fetzen der Plane abgebaut und die traurigen Reste in der Heckgarage verstaut - die Fahrt kann weiter gehen. Mißtrauisch höre ich auf jedes Geräusch aber langsam wird es zur Gewißheit: Das Schlagen ist tatsächlich weg! Nichts ist mehr zu hören und die ganzen Handtücher in den Türen können bei der nächsten Pause wieder entfernt werden - tollerweise auf dem Aire de Latitude quarantecinq, dem Rastplatz des 45. Breitengrades. Damit liegen mehr als 15 Breitengrade, also rund 1.800 km Nord-Süd-Luftlinie zwischen Jetzt & Hier und "meiner" Erg Chegaga in Marokko ...

Weitere Stunden später muß ich mich mitten durch den stinkenden Industrie-Moloch von Lyon quälen, doch das Ende der heutigen Etappe rückt immer näher. Nach insgesamt 474 Kilometern stehe ich im traumhaft schönen Parc des Oiseaux bei Villars des Dombes. Den restlichen, sonnigen Nachmittag und selbst später in der Nacht, sind die wunderschönen und exotischen Vogelrufe aus dem Park zu hören.

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Montag, 25. Mai 2020

Als ich am Morgen wach werde und die internen Regler die Wahrnehmung wieder hochfahren, höre ich als erstes und einziges wieder die beeindruckenden Vogelstimmen - aber die letzten Etappen liegen noch vor mir und aufgrund der Corona-Beschränkungen mag ich auch an "Kurzurlaub" in Frankreich genauso wenig denken wie schon in Spanien...

Als ich dann bei Lörrach die deutsche Grenze erreiche, wird die Autobahn von 3 auf 1 Spur zusammen gezogen. Überall stehen Einsatzfahrzeuge der Polizei und aufgebaute Zelte - nur die Polizei selbst ist nicht sichtbar! Im Schritttempo rolle ich über die letzte Grenze und bin nach 4 Monaten wieder in Deutschland ... genau dort, wo ich das Land auch verlassen habe! Nur zwei Dinge sind anders: Vor 4 Monaten war es am frühen Morgen eisekalt und die Autobahn war noch relativ leer und verschlafen. Jetzt scheint die Sonne von einem blauem, aber europäisch blassen Himmel und - die Autobahn ist schlagartig voll! Selbst in Frankreich war der Verkehr sehr begrenzt, hier aber das Bild, das ich schon seit Jahren kenne: Endlose LKW-Schlangen, kein einziger freier Platz mehr auf den überfüllten und stinkenden Parkplätzen, ja, ich bin wieder zu Hause! Das einzig beruhigende aber: Die mittelalterliche Wegelagerei mit ihren Mautstationen liegt hinter mir.

1800 Uhr, nach einer weiteren Gewaltetappe mit insgesamt 604 km, komme ich an, bei Peter, einem Freund in der Pfalz an der Weinstraße und bald darauf steht der Wanderer auf dem Hof eines wunderschönen Bio-Cafe`s, der seine Tore für Gäste erst wieder am nächsten Wochenende öffnen wird.

bei Peter an der Weinstraße

bei Peter an der Weinstraße

im BioCafe

im Hof des BioCafe`s von Peter

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Mittwoch, 27. Mai 2020

Nach einem Tag Fahrpause gestern und heute einem letzten, gemeinsamen Frühstück auf der Sonnenterrasse steht die allerletzte Etappe bis nach Hause an. Nach der Überquerung des Hohen Atlas liegt die kilometermäßig kürzeste Etappe mit "gerade `mal" 354 Kilometern vor mir - ich bin zu Hause! Nach fast 4 Monaten, tollen Abenteuern, unglaublich vielen Eindrücken und einer Strecke von 7.000 Kilometern - fast 2 Wochen nach dem Erhalt der eMail, die diese Rückfahrt einleitete.

Bereits am nächsten Tag war ein Redakteur der Marler Zeitung bei mir um die letzten Informationen über das glückliche Ende, der Heimreise aus Marokko, aufzunehmen. Die Zeitung hatte bereits in zwei vorangegangenen Artikeln über mich berichtet ... Groupies und Autogrammwünsche gab`s dennoch nicht ...

Marler Zeitung am Wanderer

Groupies und Autogrammwünsche gab`s dennoch nicht

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