pix pix pix

Sie sind hier: Global-Wanderer > Reisen > Marokko > offener Brief an Politik und Presse

offener Brief an Politik und Presse

Gesendet: Mittwoch, 22. April 2020 14:07
An: poststelle@bundeskanzlerin.de-mail.de; internetpost@bundesregierung.de; poststelle@auswaertiges-amt.de; info@rabat.diplo.de; redaktion@wdr.de; ZDF, E-Mail-Koordination; info@daserste.de; kontakt@funkemediennrw.de; info@faz.de
Betreff: Gestrandet in Marokko

Ich wende mich an Sie, meine politischen Vertreter und an Sie, die Presse, in einer Krise, die in dieser Form und Größe niemand hat vorhersagen können und auch niemand verschuldet oder zu verantworten hat.

Ich wende mich in einer persönlichen Situation an Sie, die von immer größer werdender Isolation, Abgeschlossenheit, Ohnmacht, Hilflosigkeit, Verunsicherung, Verbitterung und leider auch zunehmender Wut gezeichnet ist.

Bereits seit Anfang Februar dieses Jahres bin ich allein mit einem eigenen Fahrzeug in Marokko unterwegs gewesen während die Corona-Krise weltweit immer größer und bedrohlicher wurde. Als mich dann Mitte März die ersten Nachrichten von möglichen Quarantänemaßnahmen und Grenzschließungen erreichten, habe ich den abgeschiedenen Südosten Marokkos verlassen und mich in Richtung Küste und damit den Fährhäfen orientiert. Als dann um den 20. März, dem Datum der Ausrufung des Ausnahmezustandes, der Verhängung des Reiseverbotes und der Ausgangssperre in Marokko, die sich im Land befindlichen Pauschaltouristen ausgeflogen wurden, war ich noch zwei Tagesfahrten vom nächstgelegenen Flughafen in Marakesch entfernt. Während an diesem Tag bereits ab den Mittagsstunden immer mehr Einrichtungen, Unterkünfte und viele Geschäfte geschlossen wurden, konnte ich mich noch auf einem Campingplatz in der Nähe der Stadt Tinghir einquartieren bevor auch hier sämtliche Zugänge verschlossen wurden. Seit diesem Zeitpunkt, also seit 32 Tagen, sitze ich auf diesem Campingplatz fest. Um diesen wichtigen Aspekt nicht unerwähnt zu lassen - bei guter Gesundheit und nicht zuletzt Dank des mehr als vorbildlichen und freundlichen Verhaltens der Marokkaner, der Behörden, des Militärs und der Polizei, bei weiterhin gesicherter, wenn auch stark eingeschränkter Versorgungslage.

Ich wende mich an Sie, um auf die Besonderheit meiner Lage aufmerksam zu machen, die ich sicher mit weiteren, hier im Land Gestrandeten teile. Ich bin eingeschlossen auf einem winzigen Campingplatz, ohne Fernsehen, ohne Radio, ohne Zeitung, ohne Nachrichten, nahezu ohne soziale Kontakte und Austausch mit anderen Menschen, ohne Unterstützung oder Hilfe, ohne konkrete, verläßliche und authentische Informationen, ohne Perspektive. Es gibt andere Stellen im Land von denen ich weiß, Gruppen von 50, 60 und mehr Fahrzeugen auf der Halbinsel Dakhla. Hier ist sicher ein ständiger Austausch möglich. Auch gibt es hier einen bedeutenden Anteil an französischen Landsleuten, die die Landessprache beherrschen und verfügbare Informationen über weitere Quellen erschließen können. Wahrscheinlich gibt es aber auch andere Eingeschlossene wie mich, die weitgehend oder völlig isoliert und abgeschlossen diese Situation erleben müssen.

Ich wende mich an Sie, weil in dieser außergewöhnlichen Lage bedauerlicherweise die erforderliche Unterstützung der Deutschen Botschaft in Marokko nicht nur völlig unzureichend, sondern sogar (mit) verantwortlich für die immer schwerer zu ertragende Abgeschlossenheit und ihre Auswirkungen ist. Lassen Sie mich diesen nicht unerheblichen Vorwurf mit wenigen, ausgewählten Beispielen erläutern:

  • Im "Landsleutebrief Marokko 17-03-2.pdf" der Deutschen Botschaft gab es Informationen zu den bevorstehenden Evakuierungsflügen. Die knappen Angaben der Botschaft enthielten jedoch keinerlei Hinweise auf Verhaltensweisen für die Nicht-Pauschaltouristen. Für Fragen möge man sich bitte an die angegebene eMail Adresse der Botschaft richten. Eine solche eMail habe ich am folgenden Tag verfaßt und auf die Situation der überall im Land mit eigenen Fahrzeugen verstreuten Menschen hingewiesen sowie um Informationen bzw. Lösungsvorschläge für das weitere Verhalten gebeten. Diese Mail ist bis zum heutigen Tag, dem 22. April, unbeantwortet geblieben
  • Der Campingplatz auf dem ich mich habe "retten" können, war noch am 20. März, dem Tag der Ausrufung des Ausnahmezustandes in Marokko, voll belegt. Ich bin, um mich mit ausreichenden Lebensmitteln zu versorgen, noch nach Tinghir gefahren. Bei meiner Rückkehr hatten in der Zwischenzeit alle ausländischen Touristen den Platz verlassen - bis auf eine Ausnahme: uns deutschen Touristen! Bis heute steht die bohrende Frage im Raum, ob unsere holländischen und französischen Nachbarn andere, bessere, konkretere Informationen oder Empfehlungen von ihren Botschaften erhalten haben ...
  • Am 03. April wurde von der Deutschen Botschaft ein "Landsleutebrief" auf der Internetseite veröffentlicht, darin die wohlfeile Formulierung: "Mit zwei großen Fähren sind von Tanger die deutschen Campingurlaubern abgefahren, die rechtzeitig der Aufforderung der Botschaft gefolgt waren, sich im Norden hierfür bereit zu halten." Dieser Satz berücksichtigt in keiner Weise meine persönliche Situation, daß ich den "rechtzeitigen Aufforderungen" nicht nachkommen konnte, weil zum einen die vorangegangenen Informationen über diese Fähren darauf hinwiesen, daß nur Urlauber mit bereits vorhandenen Tickets eine Rückfahrmöglichkeit haben (ich hatte kein derartiges Ticket weil meine Ausreise nicht zu diesem Zeitpunkt geplant war) und zum anderen viel zu spät kamen.
  • Meine persönliche Situation -und die auch etlicher weiterer in Marokko Gestrandeter- ist u.a. davon gekennzeichnet, daß ich nicht mit einem normalen PKW oder Wohnmobil, sondern mit einem schweren Allrad-LKW unterwegs bin. Die Fahrt in den Norden hätte bei mir mindestens 3 Tage in Anspruch genommen. Eingeschlossene in Dakhla und an anderen Stellen im Land benötigen für eine derartige Fahrt u.U. sogar 4 oder 5 Tage!
  • Von einem ebenfalls eingeschlossenen deutschen Paar weiß ich, daß sie ohne Hinweise oder Informationen der Deutschen Botschaft und auf eigenes Risiko ein von der italienischen GNV ausgeschriebenes Fährticket für den 28. April gebucht haben. Der Versuch, über eMail von der Deutschen Botschaft Informationen, Hinweise oder Empfehlungen für die Fahrt zur Küste und der Wahrscheinlichkeit der Durchführung der Verbindung zu erhalten, endete genauso wie mein eigener, oben beschriebener Kontaktversuch: Auch 6 Tage nach Absendung der Mail gibt es weder eine Bestätigung über den Erhalt der Mail noch eine Antwort
  • Die Deutsche Botschaft in Marokko stellt für telefonische Kontakte eine Nummer bereit. Versuche, über diese Nummer Kontakt zu bekommen, sind davon gekennzeichnet, daß man eine krächzende Stimme vernimmt bei der nicht einmal die Sprache zu erkennen ist. Nach kurzer Verbindung und ohne erkennbare Reaktion auf Ansprache wird diese Verbindung beendet
  • Die Deutsche Botschaft verweist schon seit längerem darauf, lediglich einen Notbetrieb aufrecht zu erhalten. Für weitere Unterstützung empfiehlt man den Kontakt zu einem "Honorarkonsul". Ein Telefonat mit der Konsularvertretung in Tanger erbrachte zumindest einen deutsch sprechenden, menschlichen Kontakt. Leider ist man hier in keinerlei Weise über die aktuellen Fähr- und Reiseverbindungen informiert! Am Tag des Telefonates ist man hier nicht einmal über die Tatsache informiert gewesen, daß an diesem Tag Stunden zuvor eine Fähre mit europäischen Touristen von Tanger Med abgelegt hat
  • In der aktuellen Information der Deutschen Botschaft vom 21.04. bestätigt man "Das Auswärtige Amt und die deutsche Botschaft sind sich der Schwierigkeiten der deutschen Touristen in Marokko bewusst, insbesondere in entlegeneren Landesteilen oder wenn sie mit Fahrzeugen unterwegs sind."
  • Interessant wäre zu erfahren, wie dieses Bewußtsein entstanden ist. Kontakt der Botschaft zu mir und wahrscheinlich der Mehrzahl der Eingeschlossenen besteht jedenfalls nicht!
  • An anderer Stelle erklärt der Deutsche Botschafter in Marokko voller Stolz, daß man es in einer beispiellosen Kraftanstrengung ermöglicht hätte, über 90 % der Deutschen aus Marokko zu evakuieren. Interessant wäre auch hier die Frage, wie Seine Exzellenz, Herr Dr. Götz Schmidt-Bremme, zu dieser zahlenmäßigen Einschätzung gekommen ist. Seit Beginn der Corona Krise hat es jedenfalls keinen einzigen Versuch gegeben, die tatsächliche Anzahl und die jeweilige Situation der Eingeschlossenen zu ermitteln.
  • Der Hinweis auf eine "Elefand-Liste" ist jedenfalls weder von Konsequenz, noch von Struktur oder auch nur ansatzweiser Vollständigkeit gekennzeichnet. Ich bin schon seit Wochen in dieser Liste registriert, habe aber bis auf den Erhalt von "Landsleutebriefen" in den allerersten Tagen des Ausnahmezustandes keinerlei Nachfragen oder weitere Informationen erhalten
  • In einer weiteren Info auf der Internetseite der Botschaft, ebenfalls vom 21.04., heißt es zum wiederholten Mal "Weitere aktuelle Informationen zur Ausreise aus Marokko und zur Lageentwicklung finden Sie derzeit nur auf unserem Facebookkanal".
  • Gestatten Sie mir an dieser Stelle den dezenten Hinweis, daß ich mit 66 Jahren -möglicherweise leider- zu einer Generation gehöre, die Portale und Plattformen wie Twitter, Instagram und eben auch Facebook weder nutzt noch dazu bereit und in der Lage ist.
  • Über andere Kontakte ist mir dennoch die letzte Info der Botschaft auf diesem Kanal bekannt geworden. Darin erklärt die Botschaft, daß der Luftraum Marokkos noch (mindestens) bis zum 31. Mai gesperrt ist und das man davon ausgeht, daß diese Regelung auch für Fährverbindungen gilt!
  • Nach bereits 32 Tagen in der Isolation wird hier anscheinend vermittelt, daß sich diese Situation auch in den nächsten 40 oder 50 Tagen nicht ändern wird ...
  • Davon völlig unbeeindruckt vermittelt die bereits genannte italienische GNV Fährtickets, aktuell für den 13. Mai - ein gutes und sicheres Geschäft für diese Firma, kann sie doch über die Situation der Eingeschlossenen weiterhin Tickets verkaufen. Falls die marokkanischen Behörden jedoch keine Genehmigung erteilen, können diese Tickets lediglich auf eine irgendwann folgende, spätere Verbindung übertragen werden.
  • Wie hilfreich wäre es, wenn nicht Einzelpersonen in Isolation, Hoffnung und Verzweiflung versuchen müßten, mit ihren eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten an Informationen über diese Verbindungen zu kommen sondern wenn offizielle, staatliche Organisationen wie eine botschafterliche Vertretung oder sogar das Auswärtige Amt mit ganz anderen Möglichkeiten und Gewichtungen hier tätig würde?
  • Als gutes Beispiel mag dazu die Österreichische Botschaft dienen, die ihre in Marokko festsitzenden Landsleute explizit und nachdrücklich bittet, sich dabei durch die Botschaft unterstützen zu lassen!
  • Letztes und abschließendes Beispiel für die "vorbildliche" Arbeit der Deutschen Botschaft, ist eine ebenfalls gestern veröffentlichte Mitteilung. Darin heißt es, daß die für den 24. April vorgesehene Sondermaschine der polnischen LOD jetzt ausgebucht sei! Zu keinem Zeitpunkt zuvor und an keiner einzigen Stelle ist jedoch überhaupt die Existenz eines derartigen Evakuierungsfluges erwähnt worden - damit ist natürlich auch keine Buchung möglich gewesen

Ich habe mich an Sie alle gewendet, um auf meine eigene Situation und wahrscheinlich auch die vergleichbare für andere Eingeschlossene aufmerksam zu machen. Ich/wir sind möglicherweise eine überschaubare Anzahl von Deutschen in dieser isolierten Lage. Ich erwarte ganz sicher nicht, wie es Länder in der Vergangenheit in Krisensituationen schon gemacht haben, daß Flugzeugträger und Hubschrauberkonvois ausgeschickt werden um mich und uns aus der Isolation zu befreien. Was ich mir aber erhoffe und wünsche, ist über ein kleines Stückchen Aufmerksamkeit zu einer besseren Unterstützung mit verläßlichen Informationen und Empfehlungen zu kommen um diese außergewöhnliche und belastende Zeit besser überstehen zu können.

Ich wollte, ich könnte mit dem gleichen Lächeln und gehüllt in einen feinen, hellen Sommeranzug wie der Deutsche Botschafter in Marokko sagen,

bleiben Sie gesund!
Udo Schmidt

pix

Sie sind hier: Global-Wanderer > Reisen > Marokko > was hat`s gebracht?

.. und, was hat`s gebracht?

Ich weiß es nicht! Wie schon auf der letzten Seite geschrieben, habe ich bis zum heutigen Tag, dem 30. April 2020, von Seiten der Politik keinerlei Antwort erhalten! Auffallend sind lediglich zwei deutlich sichtbare Änderungen in der Informationspolitik ... reiner Zufall?

Das soll`s dann auch gewesen sein mit der Protokollierung von Enttäuschungen und mangelnder Unterstützung der Deutschen Botschaft in Marokko! Es wird dir, meinem geschätzten Leser, wahrscheinlich ebenso wenig Spaß machen wie mir, der ich das alles zusammentragen und niederschreiben "mußte". So enttäuschend es auch ist, aber deutsche Staatsbedienstete sehen es mehr, in guter preußischer Tradition, als ihre Aufgabe an, Gesetze, Vorschriften und Bestimmungen durchzusetzen, als Dienstleistungen für Staat und Bürger zu erbringen!

... Auf den nächsten Seiten lieber noch einige, wenige, weitere Impressionen aus Marokko ...

pix