Samstag, 12. November 2022. November? Ist es tatsächlich bereits Mitte November? Ich kann es kaum glauben, aber Handy, Rechner und Uhren behaupten es fest. Vor etlichen Tagen bereits habe ich das Paraiso Suizo verlassen und bin der Küstenlinie entlang des Atlantik in nördliche Richtung gefolgt. Seither habe ich auch keine Internetverbindung mehr und niemand von Zuhause hat mir sagen können, daß es vielleicht grau und kalt ist und die Bäume inzwischen mit aller Gewalt ihre Blätter loszuwerden versuchen. Ich lebe in einer Welt, in der die Sonne fast senkrecht am Himmel steht, Bäume und Palmen vor Grün nur so strotzen und Millionen von bunten Blumen neben den Straßen und auf jeder Weide ihre ganze Pracht zeigen ohne das jemand käme um sie nieder zu mähen. Die Fahrt geht langsam in nördliche Richtung, immer weiter in Richtung der Grenze zu Brasilien, welches ich irgendwann in den nächsten Tagen erreichen will. Nur erreichen, nicht hineinfahren. Der Plan ist, danach wieder umzudrehen um in Piriapolis einen Freund aus Österreich zu treffen, der mir noch "Vergessenes" aus der Heimat mitbringen will. Hier also die Stationen dieser malerischen Fahrt, auf der ich keinen Campingplatz mehr gesehen, sondern nur in der freien Natur unter dem Sternenhimmel gestanden habe. Es ist ein "anderes" Reisetagebuch, alles andere als nur Hochglanzgeschichten und Bilder über imposante Städte und Landschaften die nacheinander abgehakt werden. Keine aus dem Reiseführer abgeschriebenen Hintergrundinformation über Juan Manuel Sowieso, der 17-hundert-irgendwas den völlig uneinsichtigen Indios mehr Verständnis dafür vermittelte, daß ihr Land nun nicht mehr ihnen, sondern fremden Conquistadores gehören würde ... oder Ignazio Baltazar Werweißdasnoch, der das Land für irgendeine Krone in Besitz genommen und un gran palacio hat bauen lassen. Es sind meine ganz persönlichen Eindrücke und Gefühle während dieser außergewöhnlichen Fahrt beim Abenteuer PanAmericana. Gedanken, von denen ich meine, daß sie es wert sind, aufgeschrieben zu werden. Mit einem Augenzwinkern muß ich ja eingestehen, daß die Mehrzahl der Traveller solche Gedanken meist mit ihrem Partner austauschen, wenn sie Abends am Lagerfeuer oder in ihren "4 Wänden" sitzen und aufarbeiten, was sie tagsüber erlebt haben. Vielleicht ist das der Grund, warum ich derartige epische Ergüsse verfasse, denn genau dieser Austausch steht mir nicht zur Verfügung. Seit sich meine große Liebe vor einigen Jahren leider für einen anderen Lebensweg entschieden hat, bin ich allein als "alter, weißer Mann" unterwegs und dann fällt mir eine Geschichte ein, die mittlerweile um die 50 Jahre zurückliegt: Mit vor Liebeskummer gesenktem Blick bin ich damals durch meine Heimatstadt Dortmund geschlurft als mich ein guter Bekannter, dessen Gesicht & Name ich nun schon seit Jahrzehnten vergeblich in meiner Erinnerung suche, mich aufgeschreckt hat. Niemals aber werde ich seine letzten Worte vergessen: Ich solle sehen, bald wieder jemand zu finden! Sei man zulange allein, würde man wunderlich werden! Wunderlich, ja, das war sein Wort ... und dann frage ich mich, ob ich inzwischen wunderlich bin? |
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Sie sind hier: Global-Wanderer > Reisen > Südamerika > Uruguays Küste > La Paloma La PalomaAm frühen Morgen habe ich mich mit dem MountainBike bereits auf den beschwerlichen, weil verdammt "gegen-windigen" und mit knackigen Hügeln gespickten Weg nach La Paloma gemacht. Schon kurz nachdem ich den Faro, den Leuchtturm, erreicht hatte wußte ich, daß ich den Wanderer genau hierhin steuern will! Gedacht, getan und bald darauf stand ich direkt am Fuß des in der Sonne grellweiß leuchtenden Turms. Stunde um Stunde habe ich die Felsen und den Strand erkundet und dabei auch die ersten Seelöwen in der Brandung des Ozeans gesehen.
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Sie sind hier: Global-Wanderer > Reisen > Südamerika > Uruguays Küste > Barra de Valizas Barra de ValizasDie Fahrt geht weiter der Küste entlang, über den wunderschönen Fluß Arroyo Valizas, der sich mäendrierend von der weiter im Landesinneren liegenden Laguna de Castillos durch das flache Land zieht. Am nächsten Ziel, Barra de Valizas, mündet er in den Atlantik und ich stehe, nur durch eine winzige Düne getrennt, direkt neben seiner Einmündung in den Atlantik. denk`dran - alle Bilder können mit einem Mausklick vergrößert und wieder geschlossen werden
Vorher mußte ich mich mit dem riesigen Wanderer durch die teilweise ziemlich kleinen und engen Wege von Valizas durchschlängeln und erntete dafür auch so manch verwunderten Blick! Nicht jedoch wegen der Abmessungen, sondern vielmehr, daß ich überhaupt hier bin ... Der Ort wirkt wie eine übrig gebliebene Hippiekommune für Aussteiger, in der jeder Bewohner seine ureigensten Ideen beim Zusammenzimmern einer eigenen Hütte verwirklich hat. Dazu kommen zig winzige Bars und alles andere, was die genauso alternativen Urlaubsgäste an so einem Ort erwarten - nur eben nicht jetzt! Nahezu alles ist geschlossen und verrammelt und wartet auf bessere Zeiten ... die in der Hochsaison um Weihnachten und Neujahr wahrscheinlich hier das Leben nur so pulsieren lassen. Jetzt aber, in der Vorsaison, bin ich mit dem Wanderer eine völlig überraschende Ausnahmeerscheinung!
Später am Nachmittag wird meine urdeutsch sozialisierte Seele `mal
wieder auf`s äußerste angespannt. In ihrem schneeweißen SUV dreht die
Policia eine nervenaufreibend langsame Runde durch das winzige Rondel,
dem einzigen Zugang zum Strand an dieser Stelle ... und genau hier
stehe ich mit dem Wanderer! Undenkbar zu
Hause in Deutschland, daß so ein dicker Truck einfach hier "rumsteht"
und ziemlich offensichtlich auch hier "campen" will... nicht nur
undenkbar, natürlich auch verboten! Wie heißt es so schön in den guten
alten preußischen Rechtsvorschriften: "...parken zur Wiederherstellung der
Fahrbereitschaft" ...aber doch bitteschön nicht zum campen! Puh,
jetzt bleiben sie stehen und starren den Wanderer an - und fahren dann einfach weiter!
Kein Aufschreiben des Nummernschildes, kein Klopfen an der Tür, keine
Frage nach den Papieren und dem Ausweis, keine Verwarnung wegen einer
Ordnungswidrigkeit ... sie fahren einfach weiter! Ich bin
fassungslos! Am nächsten Tag sattel ich die Yam (meine Enduro) und erkunde die liebliche Landschaft bis Puente Valizas, dort, wo sich der Fluß unter einer kleinen Brücke zum Meer windet. Der ganze "Ort" besteht nur aus vielleicht 30 oder 40 winzigen Hütten, die wirklich aus einem vergangenen Jahrhundert hier überdauert haben und eine kleine, verträumte Enklave in Kapitalströmen, Leitzins, Globalisierung und anderem bilden - was sie nicht daran hindert, auch TV-Schüsseln am Terrassenpfosten zu haben!
Auf dem Rückweg fahre ich noch in eine Piste, die links und rechts mit unendlichen Blütenmeeren eingerahmt ist. Auf den genauso endlosen Weiden dahinter wenige Rinder, manchmal Pferde, vereinzelte Palmen und in den Kronen der Eukalyptusbäume ein fast ohrenbetäubendes Konzert der kleinen Papageien. Welch ein Unterschied zum sterilisierten, totkultivierten und auf Ertragsmaximierung dressierten Deutschland. Hier ist ein solch umfassender Frieden, so eine Harmonie zwischen Natur und menschlichen Bedürfnissen, daß ich mich schäme, Zeit meines Lebens Teil jenes krankhaften Systems zu sein. Das es auch anders geht, zeigt diese Welt, die wir nicht einmal zur Kenntnis nehmen.
Auf der nächsten Seite geht`s weiter der Küste Uruguay`s entlang bis Chuy in Brasilien |