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Die so unwirklich erscheinenden Bäume, deren Stamm so verblüffend an alte, knorrige, deutsche Eichen erinnert, sind übrigens Lenga, "Scheinbuchen", die es nur hier, an der Südspitze Südamerikas gibt. Zum Ende des kurzen Sommers werfen sie ihre kleinen, wächsernen Blätter ab um den langen Wintermonaten trotzen zu können. |
Etwas ist anders! Auch andere Overlander sind wie ich in Südamerika. Sie fahren irgendwo hin, entdecken diesen Ort für sich und fahren dann wieder weiter. Heute erst war ich in der Nähe einer dieser abenteuerlichen Brücken über die vielen Flüsse unterwegs, als ein Geräusch tatsächlich ein nahendes Fahrzeug ankündigte. Zwischen den Bäumen konnte ich einen riesigen Offroadtruck ausmachen, der mit einer Staubfahne hinter sich auf mich zurollte. Ohne jedes Zögern bog er schon vor der Brücke auf einen Seitenarm der Piste und pflügte dann direkt durch den Rio Cambáceres. Am anderen Ufer fuhr sein PS-starkes Triebwerk wie eine Turbine hoch und trieb den schweren MAN KAT4 mit seinem Wandlergetriebe die Steigung hoch und zurück auf die Piste in Richtung Fin del Mundo. Viele Stunden später, ich saß schon längst wieder neben dem Wanderer, konnte ich das gleiche dumpfe Wummern wieder vernehmen und auch den riesigen KAT4 und in seinem Gefolge die zwei gleichen Offroader wie heute Vormittag erkennen - alle jetzt wieder auf dem Rückweg in Richtung Ushuaia... Ich bin jetzt schon seit mehr als einer Woche hier am äußersten Ende der Welt im südlichen Feuerland. Ich sitze in meiner windfesten Jacke in meinem Campingstuhl, einige zehn Meter entfernt vom Wanderer und kann einfach nicht aufhören, diese so unwirkliche Welt um mich herum anzuschauen. Auf der einen Seite scheint die Zeit hier still zu stehen weil sich nichts verändert, gleichzeitig sieht diese Landschaft in jeder Minute anders aus! Schon seit Stunden ziehen schwere, grauschwarze Wolken über den Beagle Kanal auf der chilenischen Seite. Unter sich ziehen sie lange, gebogene und ebenso schwere Fahnen aus fallendem Regen hinter sich her, während ich, hier auf der argentinischen Seite dieses Meeresarms, in der Sonne sitze. Jede Minute sehen diese Wolken anders aus, jede Minute gibt es irgendwo eine Lücke zwischen ihnen, durch die die Sonne wie mit einem Spotlight ein Stück dieser Welt hell aufleuchten läßt. Mal leuchtet dann die Oberfläche des Meeres in einem intensiven, strahlenden Blau, dann ist es das Grün und Gelb des Landes oder grellweiße Schnee- oder Gletscherfelder auf der Kette der Anden. Dann höre ich wieder den Wind neben mir rauschen - aber nicht als allgegenwärtiges Fauchen an meinen Ohren, sondern irgendwo hundert oder zweihundert Meter entfernt in einer Gruppe von Bäumen. Genauso wie das Licht durch die Wolken nur ausgesuchte Stellen des Landes überstreicht, scheint der Wind ebenso nur einen Punkt zu überstreichen und bald darauf einen anderen... dann ist wieder von irgendwoher der schrille Pfiff eines Greifvogel zu hören...
Irgend etwas ist anders. Ich fahre immer noch
nicht weiter obwohl es doch noch so unendlich viel neues zu entdecken
gibt. Ich sitze trotz der hochsommerlichen Sonne immer noch gut
angezogen hier, jetzt, im Januar des neuen Jahres und werde einfach
nicht müde, ununterbrochen die Welt um mich herum zu sehen, zu hören,
einfach mit allem wahrzunehmen. Ich komme aus einer Welt, in der es niemals wirklich still ist. Ein Flugzeug, tausende Meter über mir, die große Straße, nur 200 Meter entfernt, Sirenen, Abrollgeräusche der Reifen, Rufe von Kindern, das Bellen von Hunden, das Zufallen von Türen. Nie versiegen diese menschgemachten Geräusche vollkommen. Hier aber scheint die Zeit auch die Geräusche eingefroren zu haben. Der Wind kommt manchmal zum Stillstand und selbst wenn er stürmt, ist es etwas anderes. Alles scheint dieser gefrorenen Zeit zu unterliegen. Selbst die Wolken. Schaue ich zu einer hoch, steht sie unverrückbar wie ein Bild. Erst wenn ich nach einigen Augenblicken erneut zu ihr schaue, ist sie ein Stück weiter gezogen. Ihre Bewegung selbst aber habe ich nicht sehen können, nur dann, wenn ich sie und das darunter liegende Land in der kristallklaren Luft gemeinsam beobachte. Die einzige Bewegung in dieser Welt die ich immer wahrnehme, sind die Spitzen der langen, samenbeladenen Gräser. Die Bäume dagegen scheinen wieder der gefrorenen Zeit zu unterliegen. Es sind teilweise riesige Kolosse, wie uralte, knorrige Eichen sehen sie aus, nur ihre Blätter sind völlig anders als die von Eichen. Sie sind winzig klein, dick mit Wachs getränkt und bieten dem Wind und der immer wieder einbrechenden Kälte der Tierra del Fuego fast keine Angriffsfläche. Etwas ist anders! Wann habe ich zum letzten Mal irgendwo zu Hause gesessen und die Welt um mich herum als ein einziges, verzaubertes Wunder wahrgenommen, von dem ich den Blick einfach nicht abwenden konnte?
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